Welche Musik möchte ich als Anfänger spielen / lernen?

Eine wichtige Frage bei der Suche nach einem individuell passenden Klavierunterricht ist, welche Musik man eigentlich gerne spielen möchte. In diesem Zusammenhang wird oft zwischen
klassischer Musik und
Pop/Rockmusik unterschieden. Da im Namen meines Kurses das Wort „Pop“ vorkommt, möchte ich darauf eingehen, über welche Musik ich eigentlich spreche.
Pop/Rockmusik ist zwar der heute landläufig am häufigsten gebrauchte Begriff für die von mir gemeinte Spielart von Musik, stellt aber lediglich eine Kompromisslösung dar. Denn der Begriff fasst viele Genres zusammen, die im Begriff selbst keine Erwähnung finden. Dadurch ist nicht klar, ob diese Genres dazugezählt werden bzw. der Pop- und Rockmusik untergeordnet werden. Dazu gehören z.B. Genres wie Jazz, Soul, Funk, Blues, Hip-Hop, u.v.m.
In der musikpädagogischen Fachdiskussion wurden zeitweise ähnlich unzulängliche Begriffe wie
„U-Musik“ für
„Unterhaltungsmusik“ (und ihr Gegenstück
„E-Musik“ für
„Ernste Musik“),
„Popularmusik“ und
„populäre Musik“ zur Umschreibung dieser Musik verwendet. Seit einiger Zeit hat sich der Begriff
Populäre Musik als Gegenstück zur
Klassischen Musik durchgesetzt. Das große
„P“ bzw. das große
„K“ verweisen auf eine Fachsprache. In der Tat spielt das Kriterium, dass etwas „populär“, also beliebt, ist, eine entscheidende Rolle. Es geht somit weniger um elitäre Nischenprodukte als vielmehr um massenkulturelle Teilaspekte all der Genres die unter dem Begriff „Populäre Musik“ zusammengefasst werden. Es gibt einige Kriterien, nach denen Musik in den Bereich Populäre Musik eingeordnet werden können:
1. Die Wurzeln all dieser Genres liegen in der afroamerikanischen Musik.
2. Ihre Verbreitung erlangt Populäre Musik bis heute durch die Massenmedien (Schallplatte, CD, Fernsehen, Internet, Youtube etc.).
3. Populäre Musik spielt eine große Rolle im Leben vieler Menschen. Man spricht auch von einem dominanten Lebensweltbezug.
4. Populäre Musik wird überwiegend „mündlich“ überliefert, also nicht schriftlich (z.B. durch Noten). Das bedeutet, dass das Spielen nach Gehör eine zentrale Rolle einnimmt.1,2
Da auch diese Definition/Kategorisierung nicht frei von Kritik ist, kann man sagen, dass es für den Alltagsgebrauch – anders als in der wissenschaftlichen Diskussion – in vielen Fällen wohl ausreicht, sich bei der Frage, was Populäre Musik ist und was nicht, auf sein Bauchgefühl zu verlassen
3. Dass das in vielen Fällen funktioniert, liegt daran, dass sich gewisse Standards der Populären Musik in der Regel von denen der Klassischen Musik unterscheiden, z.B. hinsichtlich Tonbildung, Sound, Phrasierung, Rhythmik (z.B. Backbeat-Orientierung) etc.
4 Im Folgenden werde ich den Begriff Populäre Musik als Überbegriff aller denkbaren Genres wie Pop, Rock, Funk, Soul u.a. und in Abgrenzung zur Klassischen Musik verwenden.
„Der ideale Klavierunterricht sollte sowohl Klassische Musik als auch Populäre Musik abdecken“
Ich möchte bereits an dieser Stelle betonen, dass es in diesem Artikel nicht um eine Wertung von Klassischer Musik oder Populärer Musik geht. Ich selbst schätze Musik in ihrer Vielfalt und höre und spiele sowohl Klassische Musik als auch Populäre Musik. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass der ideale Klavierunterricht, speziell jener für Kinder,
beides abdecken sollte.
Kinder suchen sich in der Regel die Musik, die sie spielen, nicht selbst aus, sondern werden hierbei von Erwachsenen (Eltern, Lehrer) stark beeinflusst. Deshalb sollten sie in einem idealen Musikunterricht die Möglichkeit bekommen, Einblicke in möglichst viele Spielarten von Musik zu bekommen, um sich irgendwann selbst entscheiden zu können, womit sie sich beschäftigen wollen. Mit zunehmendem Alter entwickelt sich (auch ohne Musikunterricht) eine immer genauere Vorstellung dessen, was man gerne spielen möchte. Anders ausgedrückt, man entwickelt (musikalische) Vorlieben. Wenn man davon ausgeht, dass die Vorlieben dessen, was gerne gespielt wird, mit denen übereinstimmen, was gerne gehört wird, läge der Anteil der Populären Musik bei etwa 90%.
5,6Der konventionelle Klavierunterricht spiegelt dieses Verhältnis von Klassischer Musik und Populärer Musik allerdings in den allermeisten Fällen nicht wieder. Das geht in vielen Fällen sogar so weit, dass Populäre Musik überhaupt nicht thematisiert wird, wie mir viele Klavierschüler berichten. Das liegt u.a. daran, dass Populäre Musik erst seit einigen Jahren in den Curricula vieler Musikhochschulen verankert ist und deswegen die meisten der aktuellen Musiklehrer nicht im Bereich dieser Musik ausgebildet sind.
Meiner Erfahrung nach erfüllt weder der beschriebene konventionelle Klavierunterricht noch der PopPianoKurs den oben erwähnten Anspruch, eine umfassende Klavierausbildung zu ermöglichen. Konventioneller Unterricht bietet in den meisten Fällen zu wenige oder gar keine Angebote im Bereich der Populären Musik und der PopPianoKurs behandelt keine Klassische Musik. In meinen Augen kann der PopPianoKurs unter inhaltlichen Aspekten also entweder als Zusatzangebot für Klavierschüler gesehen werden, die bereits konventionellen Unterricht mit klassischer Musik haben oder hatten, oder aber auch für Pianisten (auch Anfänger) geeignet sein, die ausschließlich ihren Vorlieben nachgehen möchten, wenn diese im Bereich der Populären Musik liegen.
Bei genauerer Betrachtung sieht sich der PopPianoKurs darüber hinaus der Aufgabe gegenüber, eine äußerst mannigfaltige Musikrichtung mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen zugänglich zu machen. Den inhaltlichen Schwerpunkt bilden dabei Popballaden und groovige Popsongs. Davon ausgehend soll ein grundsätzliches Verständnis von Populärer Musik vermittelt werden, sodass Erlerntes auch auf andere Songs und andere Stilrichtungen, die nicht behandelt werden, übertragen werden kann.
In Anbetracht dieser inhaltlichen Unterscheidung zwischen konventionellem Klavierunterricht und dem PopPianoKurs stellt sich bei der Wahl des individuell passenden Klavierunterrichts also zuerst die Frage, ob die jeweils angebotenen Inhalte mit den
persönlichen Vorlieben übereinstimmen. Da diese Entscheidung, wie bereits erwähnt, eine gewisse „Reife“ voraussetzt, empfehle ich den PopPianoKurs erst ab 14 Jahren.
1 vgl. Terhag, 2004. 7-9
2 vgl. Schütz, 1995, 263-264
3 vgl. Stein, 2003, 27
4 vgl. Schütz, 1995, 270
5 vgl. Schütz, 1995, 265
6 vgl. Green, 2002, 4
Zum Schwierigkeitsgrad von Klassischer Musik und Populärer Musik
Es wird oft die Behauptung aufgestellt, dass Klassische Musik schwieriger zu spielen oder anspruchsvoller sei als Populäre Musik. Dazu im Widerspruch steht die Aussage vieler meiner Schüler und Studenten mit Vorbildung im Bereich der Klassischen Musik, wenn sie zum ersten Mal zu mir kommen, dass sie überhaupt nicht wüssten, wie man Populäre Musik spielt.
Sie sind dazu also nicht in der Lage, obwohl sie die vermeintlich anspruchsvollere Musik bereits beherrschen. Dieser Widerspruch lässt ein weit verbreitetes stark verkürztes Verständnis des Schwierigkeitsgrads von Klassischer Musik und Populärer Musik vermuten.
So wird der Vergleich des Schwierigkeitsgrads oftmals auf den musikalischen Inhalt (z.B. Harmonik) und das (spiel)technische Niveau beschränkt. Dabei mag der Eindruck, dass Klassische Musik schwieriger sei, u.a. dadurch entstehen, dass in klassischen Konzerten überwiegend Werke gespielt werden, deren struktureller Aufbau und Harmonik sehr komplex sind und die den Musikern teilweise artistische Höchstleistungen abverlangen.
Dem gegenüber kommt es bei vielen Pop/Rockkonzerten eher darauf an, dass die Musik vordergründig (z.B. im Bereich der Harmonik) so
„einfach“ gehalten ist, dass das Publikum mitsingen kann. Trotz dieser starken Tendenz muss man jedoch bereits mit einem, wie oben angedeutet, verkürzten Verständnis von „Schwierigkeitsgrad“ feststellen, dass es sowohl in der Klassischen Musik als auch in der Populären Musik Werke/Stücke/Songs
in allen Schwierigkeitsstufen hinsichtlich des musikalischen Inhalts und des spieltechnischen Niveaus gibt.
So finden sich auch bei der Populären Musik ganz offensichtlich komplexe Werke wie beispielsweise Songs von
Dream Theater oder
Dave Weckl.
Auf der anderen Seite existieren auch „einfache“ klassische Werke wie z.B.
„Albumblatt (Für Elise)“ von
Ludwig van Beethoven.
Trotz der Entkräftung der Behauptung, dass Klassische Musik grundsätzlich schwieriger sei, ist es unstrittig, dass es im Bereich der Populären Musik durchaus möglich ist, auf einem frühen handwerklichen Niveau ins eigene Musikmachen, v.a. innerhalb einer Gruppe, einzusteigen.
7
So lassen sich z.B. zahlreiche Songs mit einigen wenigen Gitarren-Akkorden begleiten. Allerdings ist die Komplexität von Populärer Musik, die sich beispielsweise in der Struktur einzelner Patterns verbirgt, nicht an deren Oberfläche zu finden. Und man braucht einige Erfahrung und Wissen um sie zu erkennen und selbst umsetzen zu können.
8Darüber hinaus müssen neben den bisherigen Kriterien auch die Aneignungsformen bzw. die Herangehensweisen an die jeweilige Musik, auf die ich im nächsten Abschnitt genauer eingehen möchte, berücksichtigt werden, um das Verständnis des Schwierigkeitsgrads von Klassischer Musik und Populärer Musik weiter zu konkretisieren. Aus diesen unterschiedlichen Herangehensweisen ergeben sich nämlich auch unterschiedliche
Qualitätskriterien für die jeweilige Musikrichtung. Der Fehler bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrads eines bestimmten Werks oder Songs liegt nun oftmals darin, dass die Qualitätskriterien der einen Musikrichtung auf die jeweils andere angewendet werden, was zwangsläufig zu einem unvollständigen und verzerrten Bild führt.
7 vgl. Schütz, 1995, 269
8 vgl. Schütz, 1995, 270