Vor einiger Zeit habe ich bei einem Workshop den Song „Put your records on“ von der englischen Soulsängerin Corinne Bailey Rae gespielt. In dem Song kommt zwar kein Klavier vor, dafür aber wunderbare Rhodes und Orgel. Ich war von dem Song von Anfang an begeistert, weil er harmonisch einiges zu bieten hat aber gleichzeitig locker flockig daher kommt. Die Akkordverbindungen haben mich so fasziniert, dass ich der Sache nun mal auf den Grund gegangen bin. Diese kleine Analyse möchte ich – vor allem den Musiktheoretikern unter euch – nicht vorenthalten.
Intro & Strophe
Das Intro entspricht harmonisch den ersten drei Takten der Strophe. Deswegen starte ich die Analyse erst in der Strophe. Der Song steht in A-Dur. Die Akkordwechsel in der Strophe sind ganztaktig. Der Song beginnt zunächst völlig harmlos mit der Tonika. Direkt danach schließt sich schon ein etwas komplexerer Akkord an, und zwar D# halbvermindert über F# (D#m7b5/F#).
Dieser Akkord erweist sich bei genauerer Betrachtung als verkürzter Dominantseptakkord. Durch das gedankliche Ergänzen des Tons B erhalten wir den Akkord B7/9. Dieser Akkord ist die Zwischendominante zur Dominante E-Dur in unserer Tonart und somit die Doppeldominante. Dieser Akkord erfüllt also, obwohl nicht in vollständiger Gestalt und in einer Umkehrung, die Funktion der Doppeldominante. Die Dominante, die man nach der Doppeldominante erwartet, wird auch gebracht, allerdings in „poptypischer Manier“ nicht als E7, sondern als Esus4/7/9. Bekannter ist dieser Akkord in der Slashchord-Schreibweise: D/E. Dieser Akkord nimmt durch den Quartvorhalt die Schärfe des Leittons aus der Akkordverbindung, was eben ein sehr poptypischer Sound ist. Aufgelöst wird diese erste viertaktige Phrase wieder zur Tonika. Hinter diesen vier Takten versteckt sich also vereinfacht ausgedrückt eine I-II-V-I-Kadenz.
Indem die zweite Stufe als Zwischendominante (in Gestalt eines verkürzten Dominant-Septakkords) in einer Umkehrung und die Dominante als sus-Akkord mit Optionen vorkommt, wird die einfache Kadenz auf sehr elegante Weise äußerst ansprechend angereichert. Innerhalb der Strophen wird dieses Akkordschema einmal wiederholt.
Pre-Chorus
Der Pre-Chorus wechselt in die parallele Molltonart F#m, die zunächst durch ein einfaches I-V-I-Pendel (F#m – C#/E# – F#m) manifestiert wird. Alle Akkorde sind wieder ganztaktig. Auch hier sorgt die Umkehrung, in diesem Fall der fünften Stufe in der Form eines Sextakkords, für einen weicheren Verlauf. Danach folgt B7/9. In F#m gedacht, wäre das die vierte Stufe in Dur. Zusammen mit der vorausgegangenen fünften Stufe ließe das auf die Verwendung von F#m melodisch schließen.
Betrachtet man aber die Takte 3 und 4, sieht das allerdings eher aus wie eine Zwischen-II-V-Verbindung zur Dominante E der ursprünglichen Tonart A-Dur. F#m wäre somit die Zwischensubdominantparallele und B7 die Zwischendominante. Hier sei vorweggenommen, dass vier Takte später der Chorus wieder mit A-Dur beginnt. Die fehlenden vier Takte sind also der Rückweg zu A-Dur und die Dominante E-Dur würde also durchaus Sinn machen, wäre aber für einen Song dieses Kalibers zu einfach! Stattdessen kommt für zwei Takte die Subdominante D und ebenfalls für zwei Takte der Modal-Interchange-Akkord Dm aus A äolisch oder anders ausgedrückt die Moll-Subdominante. Eine sehr interessante Lösung!
Zum einen fährt das Energielevel durch die Verlangsamung des harmonischen Rhythmus stark nach unten. In den letzten vier Takten sind die Akkorde zweitaktig. Der Grundton sogar vier Takte lang gleich. Das wirkt sehr statisch, da sich über vier Takte lediglich ein Ton bei dem Wechsel von D-Dur nach Dm ändert. Ergänzend zur harmonischen Analyse sei hier angemerkt, dass an dieser Stelle das Arrangement stark ausgedünnt wird (z.B. Wegfall des durchgehenden Schlagzeugrhythmus). Gleichzeitig wird allerdings durch erneutes Verlassen der Tonart Spannung aufgebaut, um Fahrt aufzunehmen für den Chorus. Eleganterweise bildet die Melodie bei D die Major 7 und bei Dm zuerst die Major 7 und dann die große Sexte, was diese beiden Akkorde sehr farbenreich macht.
Wenn man den Pre-Chours insgesamt betrachtet kann man aufgrund der Kürze des Vorherrschens von F#m wohl nicht von einer Modulation sprechen, sondern eher von einem harmonischen Ausweichen. Trotzdem erreichen wir im Pre-Chorus eine völlig andere Klangwelt, was sich auch im Arrangement, z.B. durch den Einsatz der Orgel, wiederspiegelt.
Chorus
Die ersten 8 Takte des Chorus entsprechen harmonisch gesehen der Strophe. Allerdings herrscht hier natürlich eine wesentlich vollere Instrumentierung vor (z.B. volle Orgel). Die darauffolgenden drei Takte können entweder als Teil des Chorus interpretiert werden, oder als Post-Chorus bezeichnet werden. Die drei ganztaktigen Akkorde in diesem Abschnitt sind D, Dm und A und stellen somit in meinen Augen eine komprimierte Form der zweiten Hälfte des Pre-Chorus dar. Insofern ist der Chorus eine interessante Synthese der Strophe und des Pre-Chorus.
An diesen Chorus schließen sich ohne Interlude eine Strophe, ein Pre-Chorus und ein Chorus an. Dieser zweite Chorus ist allerdings einen Takt kürzer. Und so folgt auf den letzten Akkord Dm die Bridge.
Bridge & Songende
Die Bridge beginnt mit zwei Takten Bm, sodass zwischen Chorus und Bridge eine mediantische Verbindung zwischen dem Tonartfremden Dm und dem Leitereigenen Bm entsteht, was eine neue Klangwelt ermöglicht ohne aufgesetzt zu wirken. Zudem reicht die Melodiephrase wegen der Verkürzung des Chorus als verbindendes Element bis in die Bridge. Das Bm, das man hier als zweite Stufe von A-Dur auslegen könnte, erweist sich aufgrund des darauffolgenden zweitaktigen F#m teleologisch gesehen als vierte Stufe von eben diesem F#m, da F#m (vorübergehend) tonikal wirkt.
Es schließen sich nochmals zwei Takte Bm an. Dieses (in F#m gedacht) IV-I-IV-Pendel wirkt ähnlich wie im Pre-Chorus als ein leichter Schwenk nach F#m. Das sich anschließende Dmaj7 könnte man als sechte Stufe von F#m harmonisch interpretieren. Erwartungsgemäß würde sich dieser Akkord in die entsprechende Dominante C# auflösen. Durch das zweimalige Pendel zwischen Dmaj7 und Bm wird dieser Zugzwang jedoch stark abgemildert, sodass bereits hier das Dmaj7 wieder als vierte Stufe und das Bm als zweite Stufe von A-Dur interpretiert werden können, was genau wie im Pre-Chorus wieder zurück nach A-Dur führt.
Der harmonische Rhythmus der Bridge ist sehr langsam, da die ersten drei Akkorde jeweils zwei Takte ausgehalten werden. Der Song kommt hier bewusst zum Erliegen. In den letzten beiden Takten der Bridge haben wir allerdings den schnellsten harmonischen Rhythmus des Songs. Hier finden die Akkordwechsel teilweise halbtaktig statt. Das zielt direkt auf den sich anschließenden Chorus, der nach dieser kurzen Steigerungsphase das A-Dur im ersten Takt kreativerweise vorenthält, indem der Takt einfach leer bleibt und nur Gesang zu hören ist. Die Band setzt erst im zweiten Takt ein.
Post-Chorus
Dieser Chorus läuft ohne Post-Chorus zweimal durch, bevor dann der abschließende Post-Chorus kommt. Der Post-Chorus erweist sich so als geschickt eingesetztes Element, um den Chorus, der in sich geschlossen als Endlosschleife funktionieren könnte, aufzubrechen und versöhnlich zu beenden.
Fazit
Abschließend kann man festhalten, dass „Put your Records on“ harmonisch sehr reichhaltig ist. Die Verwendung von Umkehrungen, Septnonakkorden, Moll-Subdominanten, verkürzten Doppeldominanten und Mediantik zeichnet diesen Song eindeutig als gehobene Pop-Kompositionen aus. Die geschickte Aneinanderreihung und Verknüpfung all dieser Elemente ist zudem sehr geschmackvoll gemacht.
Fazit: Unbedingt anhören!! :)